Wider die "Umwertung" zentraler Werte

15.12.2023

von Dirk Hermann Voß


Von den Werten Europas als Fundamente des Europäischen Rechts ist heute allenthalben die Rede, oft ohne diese Werte in der politischen Alltagsdiskussion konkret zu bezeichnen. Dabei lassen die geltenden Rechtsvorschriften der Europäischen Union deren Werteordnung, ohne die keine staatliche Ordnung auf Dauer auskommt, keineswegs im Unbestimmten. Dirk Hermann Voß skizziert die Europäische Werteordnung und weist auf die Gefahr der „Umwertung“ zentraler Werte der Menschlichkeit hin.

Dirk Hermann Voß, Internationaler Vizepräsident der Paneuropa-Union
Dirk Hermann Voß, Internationaler Vizepräsident der Paneuropa-Union © Oliver Frank

Die Werteordnung der Europäischen Union ist an prominenter Stelle in Artikel 2 des EU-Vertrages definiert, der die grundlegende Verfassungsnorm der Vereinigten Staaten von Europa bildet. Die „Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören."
Ihnen liegt das Bild einer Gemeinschaft von Menschen zugrunde, die freien Willen besitzen und denen gleiche unveräußerliche Würde zukommt, aus der individuelle Rechte erwachsen, die jedem Kollektiv – dem Staat, einem Stand, einer Partei oder einer Ideologie – vorgegeben sind und die durch die Institutionen des demokratischen Rechtsstaats gewährleistet werden.
Diese Werte, so haben es sich die Länder in der Europäischen Union gegenseitig verbindlich zugesagt, „sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“ Damit ist der „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ eindrucksvoll beschrieben.
Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß Artikel 2 des EU-Vertrages für die Völker der Europäischen Union nicht weniger bedeutet als einst der „Rütli-Schwur“ für die Schweizer Eidgenossenschaft. Ergänzt wird diese grundlegende Verfassungsnorm durch die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere durch die im EU-Vertrag verankerte Charta der Grundrechte (Art. 6 EUV) und die sonstigen Vorschriften des EU-Vertrages wie des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, z.B. durch Artikel 19 des EU-Vertrages, der die Aufgaben und die Organisation des Europäischen Gerichtshofes beschreibt, der die Grundwerte durch die Herrschaft des Rechts absichert.
Nicht zufällig hat der Europäische Gerichtshof in verschiedenen Urteilen neueren Datums die Bedeutung der Union als „Wertegemeinschaft“ herausgestellt und das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten sowie deren gemeinsame Verfassungsgrundsätze betont. Damit hat das oberste europäische Gericht den Werteartikel des Art. 2 von einem politischen Postulat in den justiziablen Rang eines Verfassungsartikels gehoben. Zugleich hat der Gerichtshof die Grundrechte-Charta, über deren Geltungskraft in den Mitgliedstaaten im Einzelnen zum Teil unterschiedliche Auffassungen bestehen, zum integralen und nicht verhandelbaren Derivat europäischen Rechts gemacht.
In der Grundrechte-Charta sind die Grundrechte der Unionsbürger, die in allen Mitgliedstaaten der EU gelten, im gesetzgeberischen Bewußtsein des „geistig-religiösen und sittlichen Erbes“ Europas zu einklagbarem Recht erhoben worden, die nicht nur das spezifische europäische Menschenbild grundlegend konstituieren sondern auch Gesetzgebung, Justiz und politische Alltagsentscheidungen binden.
So werden in der Grundrechtecharta unter anderem ausdrücklich die Würde des Menschen (Art. 1), das Recht auf Leben (Art. 2), das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit, einschließlich eines strikten Verbots des Klonens von Menschen, von eugenischen Praktiken und der Nutzung des menschlichen Körpers und Teilen davon zur Erzielung von Gewinnen (Art. 3), das Verbot der Folter und der Sklaverei (Art. 4 und 5), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 6), das Recht jeder Person auf Achtung des Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und Kommunikation (Art. 7), der Schutz personenbezogener Daten (Art. 8), das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen (Art. 9), die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 10), die Freiheit der Meinungsäußerung und der Medien (Art. 11), das Eigentums- und Erbrecht (Art. 17), die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 20) und das Verbot der Diskriminierung (Art. 21) geschützt.
Ihre unverwechselbare Prägung hat diese europäische Werteordnung durch eine über  Jahrtausende überlieferte jüdisch-christliche Tradition erhalten, deren vorstaatliche Grundlage in den Zehn Geboten des Sinai wurzelt, die nach dem biblischen Bericht dem Moses von Gott selbst übergeben wurden und die für Juden wie Christen seit mehr als zweitausend Jahren – einschließlich ihrer säkularen Transformation im Zuge der Aufklärung – verbindliche Basis für die europäische Lebensordnung sind und die Rechtsordnungen, einschließlich ihrer sanktionierenden Gewährleistung durch das Strafrecht, sowie den gelebten Alltag der europäischen Völker nachhaltig bestimmt haben.
Die zehn Gebote, die eine tiefe Menschheitserfahrung von einer „guten Ordnung“ wiederspiegeln und aufgrund ihres Anspruchs, unmittelbar göttlichen Ursprungs zu sein, über Jahrtausende außerhalb der Verfügbarkeit oder Verhandelbarkeit durch menschliche Instanzen gestellt sind, sind eine radikale Konzentration des für den Bestand einer Gesellschaft unerläßlichen Konsenses und die Verdichtung einer Lebensordnung auf eine kaum noch unterschreitbare Zahl von Kerngedanken, die – bei allen historischen Unterschieden im Einzelnen –  in ihrem Wesensgehalt zur gemeinsamen Rechtstradition aller europäischen Völker gehören.
Die ersten drei der historischen Zehn Gebote: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“, „Du sollst dir kein Kultbild machen“ und „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht mißbrauchen“, bedeuten – im religiösen wie im säkularen Sinne – daß kein Staat, keine Rasse, keine Ideologie und keine materiellen Güter als Götzenbilder oder höchste Instanz verherr-licht werden sollen oder deren Verherrlichung angeordnet werden darf und daßnicht irdische Begehrlichkeiten im Namen Gottes geltend gemacht oder zum Beispiel Religionskriege geführt werden dürfen.
Die uralten Regeln der Zehn Gebote schützen darüber hinaus den gesellschaftlichen Frieden, indem sie die Unverletzlichkeit aller einem anderen zugeordneten Rechtsbereiche mit Absolutheit schützen: „Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht die Ehe brechen“, „Du sollst nicht stehlen“, „Du sollst nicht falsch gegen Deinen Nächsten aussagen“, „Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren, nicht die Frau deines Nächsten, … nicht sein Rind oder seinen Esel oder irgendetwas, das deinem Nächsten gehört“.
Was die jüdisch-christliche Tradition der Zehn Gebote als Werteordnung in ihrem Kern ausmacht, ist die Begrenzung der Freiheit jedes Einzelnen durch den unveräußerlichen und unantastbaren Geltungsanspruch der Freiheit und der Rechte des Anderen. Dieser unbedingte Schutz der Lebenssphären jedes Menschen konstituiert ihre Freiheit und Frieden sichernde Funktion.  

Zivilisatorischer Abbruch

Die Zehn Gebote wurden deshalb von Anfang an und im Laufe der europäischen Geschichte nicht nur als subjektive Verhaltensregeln für den Einzelnen, sondern auch im Sinne einer objektiven Institutsgarantie menschlicher Verfaßtheit und als Garantie für die von Gott selbst verliehene Freiheit und unantastbare Würde des Menschen, für den uneingeschränkten Schutz des Lebens, für den Schutz von Ehe und Familie, der  Wahrhaftigkeit und des Rechts auf legitimes Eigentum verstanden.
Nach dem monströsen zivilisatorischen Abbruch dieser Rechtstradition im  National-Sozialismus, der mitten in Europa eine zutiefst barbarische Anarchie der Gewalt hervorgebracht hat, hat das deutsche Grundgesetz als eine der modernen Verfassungen in Europa nicht ohne Grund die institutionellen Garantien der Menschenwürde, der freien Entfaltung der Persönlichkeit, des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, der Gleichheit vor dem Gesetz, der Glaubens-, Gewissens- und  Meinungsfreiheit, der Ehe und Familie und des Eigentums als vorstaatliche Rechtsinstitute des Menschseins unter den besonderen Schutz des Staates gestellt und in Art. 79 GG mit einer „Ewigkeitsgarantie“ versehen.
Die überlieferte jüdisch-christliche Lebensordnung sah sich in der Geschichte Europas aber auch immer wieder grundstürzenden  Anfeindungen gegenüber, die, jeweils mit dem Anspruch einer „Umwertung aller Werte“, bis in unsere Gegenwart die Stabilität der Gesellschaft gefährden.
Das Schlagwort von der „Umwertung aller Werte“ geht auf den Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900) zurück, mit dem dieser in Fortsetzung mancher Bestrebungen der Französischen Revolution die jüdisch-christliche Tradition hart attackierte und unter dem Einfluß der archaischen Ideologie des Darwinismus durch einen radikalen Individualismus des Stärkeren ersetzen wollte. Nietzsche begründete damit den Begriff des „perspektivischen Denkens“, der die Philosophie, die Kunst und die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts bis heute nachhaltig prägt und der behauptet, daß die Wirklichkeit im Wesentlichen vom Standpunkt des Betrachters abhängig sei. Für objektive Werte, denen gar ein göttlicher Wille zugrunde liegt, ist in diesem Denken ebenso wenig Platz wie für moralische Kategorien wie „Wahrheit“, „gut und böse“ oder den „Schutz der Schwachen“. Demokratie gilt diesem Denken als Schwäche.
Der von Nietzsche propagierte „Übermensch“ sollte autonom, unabhängig von Konventionen, naturnah und lustbetont leben und ausschließlich dem „Willen zur Macht“ gehorchen. Alle bestehenden, insbesondere religiös-sittlichen Werte sollten zerstört werden und der „Mensch selbst“ zum höchsten Wert werden. Kennzeichnend ist sein Satz „Wenn es Gott gäbe, wie hielte ich es aus, nicht selbst Gott zu sein.“ Der Völkische Beobachter feierte Nietzsche – nicht zu Unrecht – als „Begründer einer neuen Ethik“ und „Wegbereiter des Dritten Reiches“.  
Nach dem moralischen und physischen Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ erlangte Nietzsches Gedankengut mit der neomarxistischen Sozialphilosophie der „Frankfurter Schule“ und der sogenannten Kulturrevolution von 1968 neuen Auftrieb.
Unter den Bedingungen der Nachkriegs-Wohlstandsgesellschaft in den westlichen Industrieländern, deren revolutionär nutzbares Verelendungspotential gegen Null tendierte, wurden die ursprünglichen Lehren von Karl Marx durch in die Jahre gekommene „Neomarxisten“ wie Theodor Adorno, Herbert Marcuse und andere Apologeten der Frankfurter Schule „neu aufgegossen“, indem sie auf deren religions- und kulturkritischen Inhalt reduziert und einmal mehr der Aufstand des „autonomen Menschen“ gegen die gottgegebene natürliche Ordnung ausgerufen wurde – ein Aufstand, der zuerst und vor allem auf die Institutionen der überlieferten europäischen Lebensordnung zielte.
„Gesetz und Ordnung sind überall und immer Gesetz und Ordnung derjenigen, welche die etablierte Hierarchie stützen“, lehrte Herbert Marcuse. „Legal? Illeal? Scheißegal!“ skandierten die revoltierenden Studenten. Dabei sahen nicht wenige der Revolutionäre den Einbruch in die Lebenssphären anderer, auch in Gestalt von Gewalt gegen Andersdenkende, als legitim an, wenn die Vertreter des „Establishments“ im Prozeß einer argumentativen Dekonstruktion der überlieferten Werte nicht von selbst kapitulierten.
Und das Establishment kapitulierte! Traf der Angriff gegen die Werte des jüdisch- christlichen Abendlandes doch im Europa des Wirtschaftswunders auf eine praktisch „politikfreie Zone“, in der man zwanzig Jahre lang die braune Vergangenheit in den Familien, in den Parteien und den Universitäten eher verdrängt als verarbeitet hatte, und in den Vereinigten Staaten von Amerika auf die in Hiroshima und Vietnam verlorene Unschuld und erschütterte Autorität der politischen, militärischen und gesellschaftlichen Eliten.
Das Selbstverständnis des „neuen autonomen Menschen“, nihilistisch, zerstörerisch, zugleich anmaßend, egozentrisch, ausschließlich auf den höchstmöglichen Lustgewinn gerichtet, rücksichtslos gegenüber anderen, lehnte jede moralische Kategorie und Autorität außerhalb seines eigenen Wollens und Wünschens und jegliche allgemein verbindliche objektive Werteordnung ab und hat Auswirkungen bis in die Gegenwart.
Im Zentrum der Dekonstruktion überlieferter Werte durch die Kulturrevolution von 1968, deren Protagonisten in einem „langen Marsch durch die Institutionen“ in Gesetzgebungsorgane des Staates, Justiz und Medien gelangten, stand von Anfang an in praktisch allen Ländern Europas ein Generalangriff gegen die Institutionen Ehe und Familie, die durch willkürlich zusammengesetzte „Großfamilien“ (Kommunen) als lose Verbünde von Erwachsenen mit Kindern mit verschiedenen sexuellen Querverbindungen und Orientierungen ersetzt werden sollte, und eine allmähliche Relativierung des Tötungsverbotes nach den neuen Regeln subjektiver Befindlichkeit. Damit wurden zwei existentielle Schutzbereiche des Menschen zur Disposition gestellt.  
Die Dekonstruktion der überlieferten Institution „Ehe“ hat seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart Fahrt aufgenommen und mit dem Versprechen absoluter und libertinistisch verstandener Freiheit breite Zustimmung in praktisch allen Ländern Europas gefunden.
Die vormalige jahrhundertelange Überzeugung, wonach ein Ehebruch als treubrüchige Verletzung eines auf Dauer geltenden Vertrages auf Gegenseitigkeit verstanden wurde, findet sich inzwischen allenfalls noch in streng religiösen Teilen der europäischen Gesellschaft.
Während die Ehescheidung – unter Außerachtlassung der Auswirkungen auf die betroffenen Kinder – noch als rein persönliches Thema der individuellen Lebensgestaltung verstanden werden kann und weithin verstanden wird, zielt ein anderes Ergebnis der Dekonstruktion von Ehe und Familie auf deren Bestandsgarantie als solche.
Seit 2001 wurde die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der klassischen Ehe unter dem Schlagwort „Ehe für alle!“ mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und unterschiedlicher Reichweite in Deutschland, Schweden, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Spanien, Dänemark und Großbritannien für die staatlich anerkannte Zivilehe vollzogen – gegen den schwerwiegenden Einwand, daß die berechtigte Beseitigung von tatsächlich bestehenden oder gefühlten Diskriminierungen gleichgeschlechtlicher Paare einer solchen plakativen Gleichstellung nicht bedurft hätte und die Institution „Ehe und Familie“ als von der Rechtsordnung privilegierte Form des Zusammenlebens von Mann und Frau sowie ihren Kindern mittelfristig grundsätzlich in Frage stellt.
Der von der deutschen Bundesregierung  jüngst beschlossene Entwurf eines sogenannten „Selbstbestimmungsgesetzes“, wonach künftig jede Person ohne bürokratischen Aufwand durch einfache Erklärung gegenüber dem Standesamt entscheiden können soll, Mann oder Frau zu sein, und dies jeweils nach einem Jahr wieder verändern kann, ist der bisherige Höhepunkt einer Pervertierung des jüdisch-christlichen Menschenbildes der Bibel, die selbst Feministen wie Alice Schwarzer „zu weit“ geht.  
Statt der vorgeschobenen Beseitigung einer Diskriminierung homosexueller Lebensmodelle geht es den Kulturrevolutionären in Wahrheit um die Beseitigung des kulturellen und rechtlichen Leitbildes von Ehe und Familie und um eine Dekonstruktion der naturrechtlichen Grunddisposition des Menschen selbst. Das dabei jeweils vorgetragene und nur scheinbar schlagende Argument, daß es „den Staat nichts angehe, wie seine Bürger ihr Privat- und Sexualleben gestalten“, unterschlägt beflissentlich – ganz im Sinne der subjektivistischen Ideologie –  die herausgehobene Bedeutung des institutionellen Leitbildes der klassischen Ehe und Familie für die Verfassung der Gesellschaft und die seelische Gesundheit der nächsten Generation.
Dabei hat das traditionelle Familienbild jenseits kulturrevolutionärer Phantasien seine Anziehungskraft auf junge Frauen und Männer keineswegs verloren. Seriöse Umfragen belegen, daß sich die überwiegende Mehrheit der 18-Jährigen in Deutschland vor allem eine glückliche Familie, stabile partnerschaftliche Beziehungen und Kinder (!) wünscht. An irgendwelche wirksamen Maßnahmen der Politik zugunsten der wirtschaftlichen Besserstellung von Familien mit Kindern kann sich allerdings hierzulande seit langem niemand erinnern. Hier liegt derzeit ein fruchtbarer Acker brach, den die demokratischen Parteien, die Kirchen und die Gewerkschaften nicht Verschwörungstheoretikern und komischen Parteien am rechten und linken Rand des politischen Spektrums überlassen sollten.  
Die angemaßte autonome Macht des von allen Fesseln „befreiten“ und dem Lustprinzip huldigenden Menschen machte konsequenterweise nicht vor den wehrlosen Schwächsten halt, die als „ungewolltes Ergebnis“ sexueller Freizügigkeit betrachtet werden. „Mein Bauch gehört mir“ ist medizinisch wie menschlich zu einer ebenso törichten wie tödlichen Drohung für Millionen abgetriebener Kinder geworden, denen viele Staaten in Europa unter dem Druck einer „enthemmten“ Öffentlichkeit schrittweise den Schutz ihrer Rechtsordnung fast vollständig entzogen haben.
Der aktuelle Vorschlag des französischen Staatspräsidenten Macron, ein „Recht auf Abtreibung“ in der Europäischen Grundrechtscharta zu verankern, läuft nicht nur dem zivilisatorisch dringend gebotenen Schutz ungeborener Kinder diametral entgegen, sondern mißachtet zudem die nicht vorhandene Zuständigkeit der Europäischen Union für eine derartige Regelung. Wer den Schutz ungeborener Kinder nicht für ein Gebot der Zivilisation in einer Gemeinschaft wie der EU anerkennt, die in ihrer Grundrechtscharta zu Recht die Todesstrafe ächtet, sollte in einer buchstäblich lebenswichtigen Frage wenigstens die unterschiedlichen gesellschaftlichen und religiösen Traditionen und Überzeugungen in den einzelnen Mitgliedstaaten achten.
Eine Kritik der Dekonstruktion von Ehe und Familie als verläßliche Grundlage des Staates und der Relativierung des Tötungsverbotes hat nichts mit einer fundamentalistisch rückwärtsgewandten Nostalgie zu tun.
Die systematische Zersetzung von Ehe und Familie und deren „Umwertung“ in eine beliebige „Session“ von Erwachsenen und Kindern mit „begrenzter Haltbarkeit“ und unterschiedlichsten sexuellen Orientierungen und die perspektivistische Relativierung des Tötungsverbotes für ungeborene Kinder berührt das Menschsein als solches und scheut sich in Konsequenz auch nicht vor „autonomen Entscheidungen“ Dritter am Ende des menschlichen Lebens, wie die aktuelle Debatte über die Straffreiheit aktiver Sterbehilfe ahnen läßt.    
Die von der „Frankfurter Schule“ und ihren Epigonen propagierte „erzieherische Diktatur freier Menschen“ und deren späte Umsetzung durch zeitgenössische Ideologen hat sich längst als „Diktatur des Relativismus“ entlarvt, die der Philosophen-Papst Benedikt XVI. in der programmatischen Predigt vor seiner Papstwahl im Konklave 2005 scharfsinnig anprangerte und die „als letztes Maß nur das ICH und seine Gelüste kennt.“  
Die Ideologie des Relativismus und die zerstörerischen kulturpessimistischen  Altersphantasien der neomarxistischen Professoren von 1968 von der „Umwertung aller Werte“ haben in den europäischen Völkern bereits eine unübersehbare Zahl von Opfern gekostet und bedrohen auch Wohlstand und Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten.
Es ist dennoch nicht zu spät. Eine Renaissance der klassischen Ehe und Familie und die Wiederherstellung eines absolut geltenden Schutzes für geborene wie ungeborene Kinder durch die staatliche Rechtsordnung ohne Ausnahme und Selektion ist das Gebot der Stunde für eine humane europäische Gesellschaft von morgen.